Wanderungen durch die Mark Brandenburg heute fotografiert
Gusow
Und das Gold schwamm auf den Feldern
Und des Segens war kein Ende
Im gelobten Hamyar.
Chr. Friedr. Scherenberg
Eine Nachtfahrt hat uns an Rüdersdorf und Müncheberg vorbei bis in das Städtchen Seelow geführt. Wir gönnen uns eine Stunde Rast und fahren nun in nördlicher Richtung bei Morgenlicht und Lerchenjubel in das tief vor uns gelegene Bruch hinein. Halben Weges, ebenda, wo das Plateau abzufallen beginnt und eine Pappelallee ihre Vorposten hoch hinaufschickt, halten wir, um uns an dem Landschaftsbilde zu freuen, das sich jetzt in überraschender Schönheit vor uns ausbreitet. […] Ein Blick von dieser Seelower Höhe läßt uns in solchen Gottessegen schauen. Die ohnehin dicht gelegenen Dörfer rücken in dem endlosen Kulissenbilde immer dichter zusammen und alles verschmilzt zu einer weitläufig gebauten Riesenstadt, zwischen deren einzelnen Quartieren die Fruchtfelder wie üppige Gärten blühen. Wer hier um die Sommerzeit seines Weges kommt, wenn die Rapsfelder in Blüte stehen und ihr Gold und ihren Duft über das Bruchland hin ausstreuen, der glaubt sich wie durch Zauberschlag in ferne Wunderländer versetzt, von denen er als Kind geträumt und gelesen. Unvergeßlich aber wird der Eindruck für den, den ein glückliches Ungefähr an einem Pfingstheiligabend an diesen Höhenrand führt. Die Feuchte des Bruches liegt dann wie ein Schleier über der Landschaft, alles Friede, Farbe, Duft und der ferne, halb ersterbende Klang von dreißig Kirchtürmen klingt in der Luft zusammen, als läute der Himmel selber die Pfingsten des nächsten Morgens ein.
Die Pappelallee geleitet uns bergab und macht erst am Fuße des Hügels einem breiten Kastanienwege Platz, der uns bis an den Eingang des Dorfes führt. Dieses Dorf ist Gusow, eines der größten und vornehmsten jener alten Wendendörfer, die, lange vor der Urbarmachung, die sumpfige Niederung des Bruches in weitem Zirkel umspannten. Schon um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, unter Kurfürst Friedrich Eisenzahn, saßen hier die reichbegüterten Schapelows und verblieben im Besitze bis 1649, wo die beiden minderjährigen Söhne des von einem seiner Knechte erschlagenen Maximilian Wilhelm von Schapelow das verschuldete Gut nicht länger zu behaupten vermochten. Gusow kam zu gerichtlicher Versteigerung und wurde von dem bis kurz zuvor in schwedischen Diensten gestandenen Obersten Georg von Derfflinger, der sich schon drei Jahre früher mit einer von Schapelow vermählt hatte, teils sub hasta erstanden, teils freihändig angenommen.
Fontanes Erläuterungen zu Derfllinger überspringen wir auch hier und wenden uns der Darstellung von Gusow zu.
Alles in Gusow, oder doch alles Beste was es hat, erinnert an den alten Derfflinger: Schloß, Park, Kirche.
Das Schloß, architektonisch weder schön noch eigentümlich, besteht aus einem Corps de Logis und zwei langen, rechtwinkelig vorspringenden Flügeln, die nun einen Schloßhof bilden.
Die Brücke auf der Südseite führt zum Schlosshof
Ein breiter Graben umgibt den Bau nach allen vier Seiten hin, der, mit Hilfe dieser Wassereinfassung, wie auf einer künstlichen Insel liegt.
Das Schloss allseitig vom Wassergraben umgeben
Auf der Rückseite die zweite Brücke Richtung Norden
Zwei Brücken führen hinüber.
Die Brücke auf der Südseite haben wir schon weiter oben gesehen. Wir umrunden das Schloss im Uhrzeigersinn, eine kleine Brücke führt uns in den Schlosspark und in diesem können wir dann zurück zum Schloss laufen. Auf der Nordseite, der Rückseite des Schlosses, findet sich die zweite Brücke.
Die Hinterfront gewährt einen Blick in die weiten Anlagen des Parks.
Im März 2017 ist der Park hinter dem Schloss Gusow sichtbar sich selbst überlassen.
Das Innere, soviel ich in Erfahrung bringen konnte, bietet nichts, was in die Derfflingerzeit zurückreichte, vielleicht mit Ausnahme zweier in der Vorhalle postierten Falkonets. Ein Porträt des Feldmarschalls ist neueren Datums und aus der kunstgeübten Hand eines Mitgliedes der Schönburgischen Familie hervorgegangen. Es ist ein Derfflinger zu Pferde, als Pendant zu einem Friedrich von Derfflingerschen Reiterbilde, das sich noch aus alter Zeit her im Schlosse vorfand.
Leider können wir das Innere des Schlosses nicht ergründen.
Sperre vor der vorderen Brücke
Der Eingang sieht ein wenig danach aus, als wenn hier noch gestern geöffnet war. Der für den Besuch der Kirche ohnehin eingeplante zweite Besuch in Gusow bringt uns eventuell die Gelegenheit zu erfahren, wieso das Schloss geschlossen ist.
Speisekarte und Öffnungszeiten stehen noch im Schaukasten vor dem versperrten Schloss.
Der Park ist ungewöhnlich groß und neben den schönsten Baumpartien auch reich an jenen gepflegten Rasenplätzen, die die Engländer »Lawn« nennen.
Den Baumbestand können wir noch erahnen, von den Rasenplätzen ist derzeit leider nicht viel zu sehen.
Rasenfläche im Schlosspark
Der alte Derfflinger, dem Gusow, wie so vieles andere, auch diesen Park verdankt, war besonders darauf aus, südliche Bäume, Zedern und Zypressen, großzuziehen. Die Zedern, wohl zwanzig an der Zahl, bilden eine Parkpartie für sich, die den Namen »Libanon« führt. Die Hauptzierde aber ist eine mehr denn sechzig Fuß hohe Zypresse, von der es heißt, daß sie der schönste derartige Baum in den Marken sei, ein Prachtstück, das König Friedrich Wilhelm IV. vergeblich bemüht war, für Sanssouci zu erwerben. Nach meiner botanischen Kenntnis ist es übrigens keine Zypresse, sondern ein Taxodium.
Zedern, Zypresse oder Taxodium mussten auch auf unserer Liste für den nächsten Besuch bleiben.
Die Kirche geht in ihren Anfängen weit zurück.
Die Kirche im Ort Gusow
Derfflinger aber erweiterte und renovierte sie und zwar von 1666 bis 1670 nach dem Tode seiner zweiten Frau, »seiner seligen, hochadligen herzliebsten Barbara Rosine von Behren«, wie wir einer hinter dem Altar befindlichen Inschrift entnehmen können. Diese Inschrift lautet:
»Der Fürstlichen Durchlaucht von Brandenburg Geheimer Kriegsrath, Statthalter von Pommern, Generalfeldmarschall, Ober-Gouverneur über alle Dero Festungen und Oberster zu Roß und Fuß, Ich George Freiherr von Derfflinger, Herr auf Gusow, Platkow u.s.w. als Patronus dieser Kirche habe dem lieben Gott zu Ehren Anno 1666 angefangen nach dem Tode meiner seligen hochadligen Ehehälfte Barbara Rosina von Behren diese Kirche, welche vor diesem sehr klein, unsauber und unordentlich war, aus meinen eigenen Mitteln zwanzig Schuh‘ ins Best zu verlängern und ein Begräbnisgewölbe, neuen Altar, Kanzel, Chöre, Fenster, Thüren, Leichenhalle und Stühle alles neu verfertigen lassen und ist solcher Kirchenbau mit der Malerei vollends Anno 1670 geendigt worden. Pfarrer ist zu dieser Zeit Salomon Sanovius aus Münchberg bürtig. Gott erhalte diese Kirche und behüte sie vor Krieg und Feuersbrunst, und gebe, daß sein heiliges Wort darin lauter und unverfälscht geprediget und die heiligen Sacramente nach Christi Einsetzung administriret werden bis zum lieben jüngsten Tag.«
Rechts und links vom Altar befinden sich Kirchenstühle mit den Wappen folgender Familien: von Schapelow, von Berfelde, von Rilicher, von Promnitzer, von Stosch, von Haubitz, von Löben, von Hacke, von Redern, von Schulenburg, von Röbel, von Wenkstern. An andrer Stelle die Kriegs- und Gedenktafeln.
Von eigentlichen Sehenswürdigkeiten innerhalb der Kirche verbleiben noch das Grabmonument und das Grabgewölbe.
Das Grabmonument – ein trophäenartig aufgebautes Epitaphium – wurde durch Friedrich von Derfflinger dem Andenken seines Vaters errichtet. Es hebt sich von einer gemalten Wappendecke ab und muß ehedem sehr prächtig gewesen sein. Den Mittelpunkt bildet ein Steinsarkophag, in dessen flacher Vertiefung der Derfflingersche Feldmarschallsstab liegt. Er ist, wurmstichig, in zwei Teile zerfallen; an beiden Teilen der Samt abgerissen und nur die vergoldeten Nägel noch sichtbar, die früher den Samt hielten. Über dem Sarkophag erhebt sich die schon erwähnte Derfflingerbüste: ausdrucksvolles Gesicht; ziemlich mager; die einzelnen Teile, mit Ausnahme der prononcierten Nase, eher klein als groß. Dazu langes, lockiges Haar und kleiner Schnurr- und Kinnbart. Einiges, das hierin von Paulis auf S. 182 gegebener Schilderung abweicht, ist auf den Unterschied der Jahre zurückzuführen. Über der Büste ein schwebender Engel, dessen rechte Hand leider abgebrochen ist. Unter dem Sarkophage die Grabinschrift, die neben Namen, Titel, Würden und Besitzungen zugleich auch Zeit und Ort seiner Geburt und seines Todes gibt. – Dies ist das eigentliche Epitaphium. Zu seiner weiteren Dekoration dienen zwei Standarten, die, divergierend gestellt, nach rechts und links hin über den Sarkophag hinausragen. Beide sind von gleicher Beschaffenheit: die blauseidenen Fahnentücher mit Fransen und Quasten geschmückt. Ihr Emblem besteht in einem nach außen gerichteten Arm, der ein Schwert führe, und darunter eine Flamme. Am oberen und rechtsseitigen Rande liest man in großen lateinischen Buchstaben: Agere aut pati fortiora. Nach allem ist anzunehmen, daß es Dragonerstandarten waren, vielleicht von Derfflingers eigenem Regiment. Über ihre brandenburgische Zugehörigkeit lassen die metallenen Fahnenspitzen keinen Zweifel. Die eine zeigt in zierlich durchbrochener Arbeit einen einköpfigen Adler mit der kurfürstlichen Krone, die andere die Chiffre F. III. (Friedrich III.) und darüber die gleiche Krone.
Das Grabgewölbe Derfflingers befindet sich unter dem Altar. Eine Falltür führt hinab, aber sie pflegt sich keinem Besucher mehr zu öffnen. Diese Maßregel wurde nötig infolge von Unbilden, denen die irdischen Überreste des alten Helden durch viele Jahre hin ausgesetzt waren. Er lag, so hört‘ ich, ein volles Jahrhundert lang in seiner Gruft, ohne daß sich Freund oder Feind um ihn gekümmert hätte. Erst als vor vierzig oder fünfzig Jahren der Sinn für das Heimische lebendig zu werden begann, kamen Reisende von nah und fern, die den alten Derfflinger sehen wollten. Ja, mit der Zeit wurde es Mode, neben dem schönen Gusower Park auch die Gruft des alten Feldmarschalls zu besuchen. Eine Mischung von Frivolität und Kuriositätenkrämerei find an ihr Spiel zu treiben und eh‘ ein Dutzend Jahre um war, lag der alte Feldmarschall, wie von Kroaten geplündert, in seinem halb erbrochenen Sarge, nur noch mit zwei großen Reiterstiefeln angetan, die man ihm wohl oder übel gelassen hatte. Dagegen mußte schließlich Remedur geschafft und der Sarg vor profaner Neugier oder Schlimmerem geborgen werden. So wurde denn der Tote samt der zerbrochenen Sargkiste, darin er lag, in einen schweren Eichensarg gesetzt und der Deckel ein für allemal geschlossen. (Nach Aussagen solcher übrigens, die bei dieser Umbettung ihn sahen, wäre seine frühere Kleidung: einfaches Wams und schwarze Hosen noch sehr wohl erkennbar gewesen.)
Mit Worten Paulis aber, des ersten Derfflingerschen Biographen, nehmen wir Abschied von unserem Helden: »Er erreichte das höchste Alter in höchsten Ehren. Das Alter allein hat keinen Anspruch auf unsere Ehrerbietung, aber wo wir Weisheit und den Sieg der Vernunft über Leidenschaft und Vorurteil mit ihm gepaart finden, da wird es uns ehrwürdig und liebenswert. Alles dies verband Derfflinger mit einer ungeheuchelten Gottesfurcht. Er unterhielt dieselbe durch Johann Arnds ›Wahres Christentum‹, das er sich fleißig vorlesen ließ. Unschuld und fromme Sitte bereiteten ihn sein lebelang auf jenen Augenblick des Todes vor, der ein Schrecken der Gottlosen, aber die Zuversicht und der Frieden der Frommen ist.«