Uetz

Wie reizend sind, du schönes Dörfchen Uetz,
Heut‘ deiner Gärten Äpfelblütenreiser,
Dein gotisch Kirchlein, deiner Fischer Kietz,
Dein Pfarrgehöfte, deine Bauernhäuser…
Die Pferde sind zur Rückfahrt angespannt,
Vom Felde treibt der Kuhhirt durch die Gassen, –
Du schönster Ort im ganzen Havelland,
Wer könnte je dich ungerührt verlassen!

»Du schönster Ort im ganzen Havelland«, unter diesem Ausruf nimmt unser märkischer Poet par excellence, unser vielbespöttelter Schmidt von Werneuchen, von jenem stillen Haveldorfe Abschied, dessen etwas seltsam klingenden Namen wir an die Spitze dieses Kapitels gestellt haben.

»Du schönster Ort« – wir wollen es, auf die Autorität unseres Freundes hin, glauben. Aber ob der schönste oder nicht, der stillste gewiß. Die Natur hat es so gewollt.

Die Havel, die auf ihrem Mittellaufe überall Seen und Buchten bildet, streckt an dieser Stelle eine sackgassenartige Abzweigung, die »Wublitz«, tief ins Land hinein und bildet dadurch eine Wassergabel, die das von drei Seiten her umschlossene Stück Land zu einer Halbinsel macht. Auf dieser Halbinsel, tief innerhalb der Gabel, liegt unser Uetz, das, um eben dieser Lage willen, nur mit Hilfe einer Fähre, oder aber auf weiten Umwegen erreicht werden kann. Beides ein Hindernis im Verkehr.

Die Landschaft hat sich verglichen mit Fontanes Zeit deutlich geändert. Die Wublitz, die damals bis Paaren reichte ist durch die 1930 errichtete Autobahn faktisch halbiert und zudem nördlich von Marquardt stark geschrumpft.

(c) OpenStreetMap und Mitwirkende

So gibt es heute weder eine Fähre, noch ist ein großer Umweg nötig, um von Marquardt nach Uetz zu gelangen.

Eine kurze Zeit hindurch schien es, als sollte das stille Dorf mit in die Welt, von der es sonst abgeschlossen liegt, hineingezogen werden. Das war zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, wo das eine halbe Meile von Uetz gelegene Paretz, sozusagen die Hauptstadt dieser kleinen Halbinsel, in den Besitz König Friedrich Wilhelms III. überging. Um diese Zeit – der König wählte immer den Wasserweg – wurde Uetz zu einer viel genannten Fährstelle.

Die Lage der Fährstelle können wir uns dennoch gut erschließen. Die Chaussee ist heute die B273 und zur Wublitz führt der „Fährweg“.

(c) OpenStreetMap und Mitwirkende

Der Fischer, der den Dienst versah, hatte seine goldnen Tage; an die Stelle der alten Fährmannshütte trat ein reizendes Haus im Schweizerstil,

Das Haus gibt es in der Tat noch immer. Es wird von den Eigentümern (⇒ Faehr & Fischerhaus zu Uetz) gerade aufwändig und mit viel Liebe restauriert.

Fährmannshaus

betreßte Röcke spiegelten sich im dunklen Wublitzwasser, und die Dorfstraße entlang, in der bis dahin bei Regenwetter die Dungwagen steckengeblieben waren, schaukelten sich jetzt die königlichen Kutschen. Das war bis 1810. In den zwanziger und dreißiger Jahren flackerte es noch einmal auf, dann erlosch es ganz. Uetz war wieder das »stillste Dorf im ganzen Havelland.«

Solchem stillsten Platze zuzuschreiten, wie wir jetzt tun, hat immer einen besonderen Reiz. Die Nauener Chaussee, die wir halten, läuft parallel mit der Wublitz, und je nach den Sattlungen des Weges schwindet Uetz und erscheint wieder; immer neue Verschiebungen treten ein, und bald hinter hohen Pappeln, bald hinter Weiden hervor schimmert das goldene Kreuz seiner Kirche.

Wir kommen bei unserem Ausflug ebenfalls aus Richtung Potsdam. Die Autobahn behindert heute den Blick bis Uetz. Ein schönes Bild haben wir bei unserem Besuch im Februar 2022 nicht gefunden und müssen den Blick daher schuldig bleiben.

Unser Weg hat uns endlich bis in die Höhe des Dorfes geführt, und nach links hin einbiegend,

Hier können wir Fontane vermutlich auf genau dem Weg folgen, den auch er genommen hat.

Fährweg

stehen wir nach einem kurzen Marsch am Ufer des mehrgenannten Havelarms, der sich selbst und seinen Zauber bis dahin vor uns verbarg.

An dieser Stelle bietet sich uns jetzt ein komplett anderes Bild. Die Wublitz ist hier nur noch ein schmales Fließ, das den Wublitzfischern Zugang zum See verschafft.

Drüben liegt das Fährhaus. Aber der Blick nimmt uns so gefangen, daß wir unser »Hol über!« unterlassen und zwischen ausgespannten Netzen auf einem umgestülpten Kahne Platz nehmen, um das Bild auf uns wirken zu lassen.

Statt des Blicks auf das Fährhaus sehen wir heute einen Fahrweg, der vermutlich zusammen mit der Autobahn angelegt wurde.

Fährstelle

In Terrassen baut es sich auf: zuunterst der Fluß, tief und still und mit den breiten Blättern der Teichrose überdeckt; dahinter ein Schilfgürtel, dann Obstgärten, dann über diese hoch hinaus die alten Ulmen der Dorfgasse, und wieder hinter den Ulmen, am Abhang aufsteigend, die weißen Häuschen des Dorfes, das Ganze gekrönt von zwei altmodischen Windmühlen, die von dem bastionartigen, gründossierten Mühlenberge aus den Vordergrund überblicken und ihre Flügel so lustig drehen, als freuten sie sich der Umschau, die sie halten.

Die Längslinie des Bildes folgt dem Uferrande drüben, der zugleich der Hauptgasse des Dorfes entspricht. Das Treiben dieser von Busch- und Baumwerk dicht eingefaßten Gasse entzieht sich unserem Auge; überall da aber, wo breite Querlinien die Längslinie durchbrechen, entsteht ein heller Fleck im Dunkel und das ganze sich fortbewegende Treiben drüben erscheint in dieser Lichtung und schwindet wieder. Die Entfernung ist groß genug, um jeden Lärm zu verschlingen, und so kommen die Bilder und gehen wieder wie auf der glatten Fläche einer Camera obscura. Jetzt Schnitter, die Harke und Sense über die Schulter gelegt, vom Felde heimwärts kehrend, jetzt kiepentragende Frauen, jetzt hochbeladene Heuwagen, deren helleres Grün in dem Dunkelgrün der Baumkronen schwerfällig hin und her schwankt.

Die Sonne, die eben noch wie ein Glutball über dem Windmühlenberge gestanden hatte, sank jetzt tiefer und ließ die Wandfläche der Mühle wie einen dunklen Schatten erscheinen, den ein rotgoldener Schimmer nach allen Seiten hin umgab. Und dieser Schimmer, sich bahnbrechend durch die Baumwelt des Vordergrunds, fiel jetzt auch auf die breite Fläche der Wublitz, und wo ein Schwan durch diesen glühenden Streifen hindurchfuhr, da überzog es sein Gefieder wie flüchtige Röte, die der nächste Augenblick wieder von ihm streifte. Wohl mochten hier die Mummeln blühen, als wäre die Wublitz ein Blumenbeet, denn es war ein Bild wie hergeliehen aus einem Feengarten.

Minutenlang sah ich still in diesen Zauber hinein, dann richtete ich mich auf und rief mein »Hol über!«

Wir folgen dem Weg parallel zur Autobahn.

Unterführung unter der A10

Die Unterführung wird im Februar 2022 gerade erneuert.

Direkt hinter der Autobahn bietet sich und der erste Blick auf das Fährmannshaus und die Eiche zur Erinnerung an Luise.

Fährmannshaus

Ich schritt nun die Querallee hinauf, kreuzte die Dorfstraße

Bevor wir uns dem Mühlenberg widmen, gehen wir die Dorfstraße entlang und werfen einen Blick auf die Kirche, der Fontane keine Aufmerksamkeit schenkt.

und erstieg den Mühlenberg, hinter dessen Kamm, bereits erblassend, die Abendröte stand.

Wir waren mitten am Tag unterwegs und das Wetter hätte auch zu späterer Stunde kein Abendrot zu bieten gehabt. Dennoch steigen wir auf den Mühlenberg, der sich in Richtung Dorf recht naturnah gibt, es aber von der Autobahn auf seiner Rückseite abschirmt.

Ein schwacher rötlicher Schimmer säumte nur noch den Himmel gegenüber. Das Dorf, die Wublitz waren still; im Fährhaus schimmerte ein Licht, die Schwäne sammelten sich am Schilf, die Abendglocke klang in langsamen Schlägen über Uetz hin.

Du schönster Ort im ganzen Havelland,
Wer könnte je dich ungerührt verlassen!